Sigi Hiss: Alles dreht sich um den 1945er Rieussec, fast……

Passfoto_zoom3_icon From Franz AreggerPremium_small, at 24. March 2011 18:43

Sigi Hiss – Ein Wein wie ein samtener, anschmiegsamer Kaschmirpullover, mit elegantem Schwung vor 66 Jahren gestrickt. 1945 war im Sauternes, wie fast überall in Europa, ein großer, manchmal sogar ein Jahrhundertjahrgang. Was jedoch nicht immer zusammen kommt ist, dass im Bordeaux die Süßen, die trockenen Weißen & die Roten gleichermaßen gut sind. 1945 war dem so. Legendär aus diesem Jahr, der Muuudooong (Mouton).

Als Abschluss eines arbeitsreichen Tages spendierte uns der Gastgeber des Abends diesen 1945 Rieussec. Perfekte Füllhöhe & eine tiefdunkle Farbe, an Ahornsirup erinnernd. Wie immer vorher, eine kleine, mit dem Florett geführte Diskussion: Dekantieren oder nicht. Ich bin da inzwischen auf der Dekantiererseite angelangt, auch für sehr alte Weine. Mein Gegenüber ist zwar schon deutlich vom „Bloß keinen Sauternes dekantieren“ weggekommen, aber eben noch nicht vollständig. Nicht dekantieren, war also die Devise am heutigen Abend. Insgesamt war es eine sehr lustige & genussaffine 6er weinfreakige Runde.

Darunter waren auch Adelbert & Amelie. Beide Mitte 50, Geld, bis dass der Tod sie scheidet. Connoisseurs der alten Schule, was gut & genussreich ist, gehört in ihre Welt. Doch sehr sympathisch & immer für eine ungewollte kabarettistische Einlage gut. Wirklich, sie spielen das nicht, sie sind einfach so. Und wenn sie sich, wie an diesem Abend, gegenseitig hochschaukeln, sind beide aber dennoch mit einem unglaublichen Wein-Wissen behaftet.


Los geht’s. Der Wein wurde verdeckt eingeschenkt, was Adelbert per se schon mal blöd findet. Ich weiß das ja nun inzwischen aber es wird trotzdem jedes Mal wieder sanft in die Mitte unserer Wein-Runde gelegt. Mit Samthandschuhen & sehr unterschwellig, versteht sich. Amelie touchiert, unbemerkt für den Rest der Truppe, so meint sie jedenfalls, sein Knie. Falscher Moment. Stich ins Wespennest. So kann man sich Adelberts schlagartig angespannte Gesichtszüge vorstellen. Der Brustkorb spannt sich, die Augen werden leicht schmaler. Mit sehr leiser aber scharfer Klinge, fast zischend wie ein Schwan, wenn er sich bedroht fühlt, kontert er die Berührung Amelies: „Du musst gar nicht deine Hand auf meine Knie legen, ich mag dieses alberne Ratespiel um einen Wein einfach nicht. Ich will ihn genießen & keinen Tanz ums Goldene Kalb aufführen. Wer den Wein nicht errät, dann gilt das Motto: Mensch-ärgere-dich-nicht oder wie?

Zurück zum Wein, die I

Die Flasche wurde nicht rekonditioniert, auch wenn der Korken in einem Zug & Stück aus der wunderschönen alten Flasche kam. Noch relativ geschmeidig & in einem topp Zustand. Wie das sein könne? fragte Amelie. Nach 66 Jahren in noch einem solchen Zustand: weich, flexibel & fast wie neu. „Du bist jetzt wie alt, meine Liebe?“ platzte es aus Adelbert heraus. Ein fast nicht wahrnehmbarer Blick Amelies in Richtung der schönen weiß gekalkten Stuckdecke, fast schon flehend. Schweigen.

Um der Sache etwas den Wind aus den Segeln zu nehmen, schoss ich dazwischen, sodass Amelie erst gar nicht zu einer Retourkutsche ansetzen konnte.

„Amelie, erstens war die Flasche seit ca. 40 Jahren bei einem Weinfreund unter besten Bedingungen gelagert. Um die 80% Luftfeuchtigkeit, dunkel, Temperaturen zwischen 10-11°C das ganze Jahr durch. Danach lag sie bis zu diesem Tag bei unserem Spender im Keller. Und du kennst ja den Keller, Amelie. Zudem hält der hohe Zuckergehalt beim Süßwein den Korken über Jahrzehnte geschmeidiger als ein trockener Wein“. Schmiermittel. Apropos Schmiermittel hakte sich Adelbert wieder in die Diskussion ein. Aaaaaachtung.

Ich hab da kürzlich was gelesen von wegen Gummi irgendwas, der arabische, der in den Wein gekippt wird. Das Zeugs soll sich auch wie ein Schmiermittel im Wein auswirken. Stimmt das denn? Kommt dieser arabische Gummi in unseren teuren Wein?

Bevor ich diesmal reagieren konnte, war Amelie zur Stelle. „Was redest du denn wieder für einen Unsinn daher. Mensch Adelbert, jetzt lass mal die Kirche im Dorf, auch wenn du schon seit Jahrzehnten aus derselben ausgetreten bist. Du meinst Gummi arabicum. Weißt du, wie oft du schon dieses Zeugs geküsst hast? Sehr oft, glaub mir“ fügte Amelie hinzu. „Wie bitte“ kam es zurück, Amelie jetzt wirst du aber indiskret“. „Nein werde ich nicht, das läge mir so unendlich fern. Aber, wie bitte schön klebst du deine Briefmarken auf die Postkarten oder Briefe? Genau, mit der Zunge feuchtest du die Briefmarke auf der Rückseite an. Und dort mein lieber Adelbert befindet sich eben jenes Gummi arabicum. So schlimm kann es also nicht sein“.

Zurück zum Wein, die II

Nicht dekantiert. Die Farbe allein war schon faszinierend, so tief dunkel stand er im Glas & leuchtete förmlich mit bernsteinfarbenem Schimmer. Ein gutes, sehr gutes     Zeichen. Je dunkler die Farbe eines gereiften Sauternes, umso besser. Unser Spender der Flasche pflichtete vehement bei.

Da füllte sich die Nase erstmal mit verhaltenen Noten von dunklem Blockmalz, das man als Kind so gerne gelutscht hat. Gepaart mit anfangs oft zu findenden leicht laktischen Nuancen, die sich mit dem Luftkontakt mehr & mehr verlieren. Warme Backpflaumen & feiner Duft von Mandelgebäck passen einfach genial zusammen. Da schwingt etwas von nachmittäglicher Kaffeerunde mit. Aber das ist kein fetter, mastig geformter Sauternes. Nein. Das ist eben das Schöne & aus meiner Sicht das Genuss bringende – das langsame Reifen eines Weines. Mehr Tiefe verbunden mit mehr Komplexität. Die Süße wirkt schlanker, rassiger, vielleicht erotischer sogar. Finesse. Eleganz. Noblesse. Samt & Seide.

Und als ob der 1945 Rieussec den Text vorher gelesen hat, er war die Praxis der Theorie.

Nach einiger Zeit öffnete er seine Truhe vollends & beglückte die Anwesenden mit betörender Aromatik.

Die Notiz

Offen mit dichter aber eleganter Süße, dabei anfangs viel süßliches Blockmalz, mittel intensive Melasse, die mit einem Hauch Rosinen & Backpflaumen unterlegt ist, noch leicht laktisch & eine Note von Safranfäden, Hauch Kräuterbonbons, dabei das mineralisch-frische zeigend, Mix aus rassiger Art & kompakter Süße, ungemein tief & sehr komplex.

Im Mund besticht die zugleich satte & sehr rassige Art, die klare aber rund wirkende Säure gibt ihm eine herrliche Nervigkeit, beste Balance bis hin zum Abgang, Aromen wie in der Nase plus Butterkekse & etwas Mandelgebäck, getrocknete Aprikosenschalen & Quittengelee, dunkles leicht bitteres Karamell, enorme Tiefe zugleich noch leicht verschlossen, hocheleganter & von süssem Malz begleiteter, sehr langer Abgang.

nach 2 Std.

Amelie hatte recht! Sie meinte nach dem ersten Schluck, dass der Wein noch Luft benötige, um sein wahres Gesicht zu zeigen. Aber er sei auch jetzt schon nicht schlecht. Dieses „nicht schlecht“ war dann aber doch mit einer Prise Dekadenz versehen. Was Adelbert auch prompt zu bemerken wusste.

In der Nase deutlich offener, noch komplexer & einfach perfekt, das laktische ist komplett verschwunden, dafür nun eine sehr an Riccola erinnernde Aromatik, wilde Bergkräuter gepaart mit ganz dunklem Tannenhonig & Rosinen in Malaga eingelegt, dazu getrocknete Aprikosen & Datteln, im Hintergrund ein Hauch vanilliger Würze & noch ein Überrest von Safran, Mandelgebäck & Zitronat, und wieder das süßliche Blockmalz.

Jetzt kam der Kaschmirpullover zum Vorschein, samtig, seiden, allerbeste Balance von Süße-Säure-Alkohol, mit einer fliegenden Eleganz & Finesse, schmeichelnd & dicht am Gaumen anliegend, mit satt unterlegter feinsaftiger Mineralität, zugleich wieder eine cremige & nervige Art, hochelegant & feingliedrig, Eleganz & Finesse, die Aromen wiederholen sich 1:1 am Gaumen, enorm langer, perfekt balancierter & samtig-seidener Abgang. 19.25/20, bis 2035


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