Sigi Hiss: 1965 war ein mieses Weinjahr in Europa!

Sigi_hiss_kopf_lachend_icon From Sigi HissPremium_small, at 28. September 2011 06:25

Weinfreude 1965 geboren haben es nicht leicht, trinkbare Rotweine aus ihrem Geburtsjahr zu finden. Try & Error. Ergebnis. Error. Barca Velha ist kein Error!

Und wie mies es war. Bordeaux hatte in jenem Jahrzehnt nicht nur EIN schlechtes Jahr, es waren deren Sieben. 1960/63/65/67/68/69 prügelten sich schier darum, wer denn der wirklich schlechteste Jahrgang ist. Und da hat 1965 die besten Anlagen, auf dem Podest. Sehr nass, sehr kalt, unreife Beeren die eine sehr hohe, harte Säure hatten. Da war viel Apfelsäure im Spiel – je unreifer die Beere umso höher der Anteil der harschen Apfelsäure. Erinnert an einen kalten & regnerischen Herbsttag.

Burgund setze dem vielleicht noch eine Nuance  obendrauf. Sonne sahen die Menschen damals im Burgund wenn, dann nur kurz. Dazu kamen noch monströse Stürme, Weinberge verselbstständigten sich, indem Teile von ihnen der Schwerkraft folgten. Michael Broadbent meinte damals, dies sei der schlimmste Jahrgang nach dem 2. Weltkrieg.

Wie erging es der Rhone? Viel besser auch nicht, aber doch qualitativ leicht über Burgund & Bordeaux liegend. Man findet da vereinzelt wirklich gute Weine.

Deutschland hatte ebenfalls einen sehr kalten, verregneten Sommer mit unreifem Lesegut. Die Sonne macht sich sehr rar, erst während des Herbstes ließ sie sich blicken, worauf die Winzer die Lese bis Ende November hinauszögerten. Wer sich etwas mit der Säure in den Beeren auskennt, dem werden sich bei folgenden Zahlen die Nackenhaare stellen: Mosel-Saar-Ruwer hatten damals durchschnittliche Säurewerte von 17,5g/l & selbst Südbaden hatte immer noch über 11,1 g/l Säure. Das sind extremste Werte & liegen weit über dem Normalen.

Von wo kommen in Europa überhaupt noch trinkbare, trockene Weine aus dem „Bilderbuchjahrgang 1965“? Ein Vega Sicilia aus dem Ribera del Duoro ist ein bekannt guter Wein. Aber auch hier ist er eine Ausnahme, denn Spanien hatte nicht mehr Glück mit dem Wetter als das restliche Europa.

Und der Barca Velha, probiert am 20/21 September 2011 über 2 Tage hinweg. Ein Begriff unter Portugal-Kennern, der Allgemeinheit wahrscheinlich weniger bekannt. Barca Velha ist der Name eines trockenen Rotweines aus dem Douro Gebiet. Produziert nur in außergewöhnlich guten Jahren vom Portweinhaus A. A. Ferreira. Bis heute sind nur in 1952, 1953, 1958, 1964, 1965, 1966, 1978, 1979, 1981, 1982, 1983, 1985, 1991, 1995, 1999 & 2000 Barcas produziert worden. Zum Ferreirinha Reserva Especial wird er dann, wenn er intern abgestuft wurde. A. A. Ferreira hat seinen Hauptsitz in Porto, genau in Vila Nova de Gaia. Bis einschließlich des 1999er, stammten die Trauben von der Quinta do Vale Meão. Ab dem (kürzlich erschienenen) 2000 werden alle weitere Jahrgänge von Trauben der Quinta da Leda produziert, zumindest der Grossteil ist von dort.

Die Rebsorten sind, wie unschwer zu erraten ist, jene des Portweins. Der Barca Velha wird von der Tinta Roriz dominiert plus etwas Touriga Franca, Touriga Nacional & Tinta Cão.Die Anteile der jeweiligen Rebsorten variieren von Jahr zu Jahr. Je nachdem wie die Qualitäten der einzelnen Rebsorten ausfallen, wird dann die endgültige Zusammensetzung der Cuvée bestimmt.

 1952 wurde der erste Barca Velha produziert. Bis heute ist dies eine Leistung, die man nicht hoch genug würdigen kann. Wir befinden uns im Herzen des Portweines, am Puls der Portweinindustrie sozusagen. Hier einen trockenen Spitzenrotwein zu produzieren? Dann noch mit dem Anspruch sich auf Augenhöhe sich mit dem Hausherrn zu messen. Der Hausherr war niemand Geringeres als Seine Majestät der Vintage Port – das war damals wohl nicht anderes als Majestätsbeleidigung der groben Art. Inzwischen ist der Barca Velha DER (einzige) große trockene Rotwein Portugals, der seine Qualität über längere Zeit bewiesen hat. Aber es gibt Nachwuchs, wie der Carrousel von der Quinta da Pellada aus der Region Dão. Mir ist klar, es gibt sehr viel hervorragende trockene Rotweine in Portugal. Diese müssen aber erst noch zeigen, dass sie auch nach 20 Jahren die Größe eines Barca Velha in sich tragen.

Der damalige Verantwortliche, Fernando Nicolau de Almeida, machte dann auch unzählige Versuche, setzte Ideen um & verwarf diese wieder bis dann 1952 der erste Jahrgang den Ansprüchen genügte. Der Nachfolger von Fernando Nicolau de Almeida ist heute noch für den Barca Velha verantwortlich. Konstanz.

Jetzt zum 1965er Barca Velha. Auf dem Etikett steht übrigens der Alkoholgehalt von 12,5%, sehr unüblich für Weine aus dieser Zeit.

 

Eine schwärmerische & viel zu lange Degu-Notiz

Ich wusste, der Barca Velha ist ein besonderer Wein Portugals. Ich wusste auch, der Wein ist nicht „für ‘n Appel und ’n Ei“ zu haben. Der Wein sollte Portugals einzig wirklich großer trockener Roter sein. Rebsorten wie beim Port, klar. Was ich nicht wusste, wie gut er wirklich sein würde.

Flasche geöffnet, leider kam der Korken nicht in einem Stück heraus – auch hatte ich den Durant nicht zur Hand. Der Durant ist wirklich sein Geld wert, billig ist er nicht. Korkbrösel, wenn sie fallen, dann in die Flasche. So auch diesmal. Es waren diesmal viel, sehr viele. Darum den Wein auch Stande pede dekantiert, um ihn vom Depot UND den Korkbrösel zu trennen. Die Belüftung war ein weiterer Grund den Wein zu dekantieren. Persönlich dekantiere ich auch sehr alte Weine. Meine Erfahrung zeigt, dass den Weinen die Luft hilft – der alte Muff muss weg. Und wenn hinter dem Muff eh nichts mehr an Schönem ist, dann weiß ich das umso schneller. Selbstredend beim dekantieren auch sofort den ersten Schluck genommen. Aber, noch recht verschlossen & auch noch eine Spur zu kalt.

Originalgemälde – Vorlage für das Etikett – hängt in der Ferreira Port Lodge

Nach 30 Minuten passte die Temperatur & der Barca Velha begann sich zu öffnen. Der erste Gedanke war wirklich an einen reifen Tempranillo alter Machart. Da ist das Knochentrockene, das mich an Kalkstaub & Steinmehl erinnert. Man könnte, riecht man nur kurz daran, der Nase etwas Gezehrtes andichten. Karg. Das ist anfangs auch so. Nimmt man sich etwas Zeit, kommt da deutlich mehr. Weißer Pfeffer strömt aus dem Glas. Und der weiße riecht halt nicht so wie der Schwarze. Die berühmt berüchtigten Noten von Leder fehlen auch nicht. Mit der Zeit drängen sich schwarze

getrocknete Kräuter in den Vordergrund. Oregano, Thymian & Schwarztee sind die aus der Abteilung Kräuter. Dann schwenkt die Nase in Richtung schwarzer & roter Früchte. Klar, nicht die eben vom Baum Gepflückten, die Angetrockneten, schon leicht Überreifen sind es. Backpflaumen. Oder reife Erdbeeren, die schon eine Zeit lang in der Ecke gestanden haben. Das Kalkig-staubige steht da als Basis sozusagen immer im Hintergrund. Ich mag das sehr, ein nicht ganz junger Ausone aus dem Bordelais riecht & schmeckt ähnlich. Das Faszinierende, ja packende ist aber die wirklich beeindruckende Tiefe & das komplexe Aromenbild, das der Wein preisgibt.

Im Mund lebt der Wein schon nach den 30 Minuten richtig auf. Genau er lebt, das trifft es haargenau. Da ist erstmal die satte, fast schon feinkörnige Mineralität. Hat etwas Taktiles, man meint fast kleinste Kieselsteine liegen auf der Zunge. Das lässt ihn mit viel Rasse aber auch runder & samtig-reifer Stilistik erscheinen. Die Säure, anfangs durch die zu niedrige Temperatur etwas forsch, ist nun nahezu perfekt. Spürbar, dem Wein Frische gebend & das Mineralische unterstützend aber wunderbar nervig – passt einfach. Und dann, auf was ich sehr großen Wert lege, die Balance eines Weines. Sind die Komponenten des Weines in einem sich ideal ergänzendem Verhältnis?

Keine zu feste Säure. Kein Alkohol-Kinnhaken. Kein Biss ins Eichenholz. Kein grünes, vor Gerbsäure saftendes Tannin. Keine Konzentration bis zur Fettleibigkeit.

Balance, gleich einem in sich ruhendem Charakter, ja das trifft es sehr gut. Der 1965er Barca Velha drängt dem Genießer den Vergleich mit (nein, nicht George Clooney) Typen wie Gary Grant, Sean Connery oder Kirk Douglas auf. Zurückhaltend, sich seiner Klasse bewusst. Kein Schreihals. In der Ruhe liegt die Kraft & diese ist für 12,5% faszinierend. Das Tannin ist wie sehr feines Schleifpapier, Rückgrat im wahrsten Sinne des Wortes. Nichts was vorne steht, sondern als Stütze im Hintergrund. Ich schreibe ab & an feingliedrig bei einem Wein, der Barca Velha ist es mit seinen 46 Jahren immer noch. Und diese Feingliedrigkeit ist nicht so, dass er vor lauter Zartheit gleich zusammenbricht. Das Gegenteil ist der Fall. Ich schreibe es nochmal, Balance. Biss. Seidenpapier.

Am zweiten Tag ist die Nase mürber als an Tag eins. Mehr in die Richtung von Trockenfrüchten gehend mit etwas rostigen Noten dazu. Am Gaumen immer noch die Lebendigkeit & Eleganz des ersten Tages. Nichts von der Vielschichtigkeit verloren. Sein mineralisches Fundament prägt sich immer noch auf die Zunge & von härterer Säure keine Spur. In Würde zu grossem Stil gereift.

1965 war ein herausragendes Jahr, wenn auch mit nur einem Wein belegbar – Barca Velha.


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