Portugal-Tagebuch: Dao & Bairrada 2011

Profil_webnwine_marcel_icon From Marcel MerzPremium_small, at 19. October 2011 07:43

Sigi Hiss – Portugal zum Zweiten steht an.

Dienstag, 18. oktober 2001

Flughafen Zürich. Center Bar. Und wie immer sitzt die Frisur felsenfest. Davonfliegen kann ja relativ wenig bis gar nichts. Wohlwissend, dass ich das schon des öfteren geschrieben habe, muss ich es nochmal erwähnen. Denn … denn neben mir sitzt ein ca. 55-jähriger Mann mit 2 nicht zu übersehenden “Merkmalen”: eine um eine Generation jüngere, gut aussehende Dame & ein Toupet, das so was von bescheuert aussieht, dass es eigentlich wehtun sollte. Wenn man mich vor die Wahl stellen würde, ob Frau oder Toupet………..

Viel wichtiger aber, es scheint, als ob ich nichts vergessen habe! Abwarten…..

Abflug um Uhr 14:20. Ankunft Porto 15:55. Was erwartet mich in Porto? Erstmal Peer Holm von ViniPortugal – Organisator der Reise & absoluter Kenner der iberischen Weinkultur. Dann eine Nacht in Porto mit wahrscheinlich gutem Essen & guten Weinen. UND wir wollen eine Flasche Barca Velha zusammen trinken, mal schauen, ob es klappt. Mir hat ja der 1965er Barca Velha unglaublich gut gefallen. Die Regionen Dao & Bairrada werden wir fachmännisch (fachfrauisch liest sich leicht, na sagen wir sperrig ;-) ). Obwohl ja Kristine Bäder vom Sommeliermagazin dabei ist, eine weitere Expertin in Sachen Portugal. Andre Domine ist schon etwas früher angekommen & wird nachher zu uns stossen oder wir zu ihm.

Dāo K&K (kurz & knapp): um die 20.000 ha mit hügeliger, ja fast gebirgsähnlicher Topografie, karge Granit- & Sandböden, bis auf 1000 Meter reichen die Rebstöcke, starke Temperaturschwankungen von Tag zu Nacht, an Wasserversorgung von oben fehlt es wahrlich nicht mit an die 1000 mm Niederschlag/Jahr, enorm trockene Sommer, feuchte Winter, sehr viel kleine Parzellen, rote Sorten: Jaen, TN, Aragonez, Tinta Cao, Alfrocheiro, weiße Sorten: Bical, Cerceal, Encruzado, Malvasia Fina.

 

Bairrada K&K: Bairrada = Baga = DIE Rebsorte mit > 90%, ab 1980 Qualitätsweinbau, meist Lehm- & Sandböden, hohe Niederschlagsmengen, atlantisches Klima, insgesamt 10.000 ha mit 7000 ha DOC Status, Zenrum Schaumweinerzeugung.

 

Typische Häuserfront in Porto

Bemerkenswert. 2007 Encruzado.

Angekommen nach verschlafenem Flug. Vorher Schrecksekunde am Flughafen in Zürich. Wo ist meine Geldbörse? Da wo sie hingehörte, war sie dann auch. Leichte Erhöhung des Pulses & eine schallend lachende Verkäuferin im Sonnenbrillengeschäft. Sonnenbrillengeschäft deshalb, da mir ein paar Minuten zuvor ein Inder auf meine alte Sonnenbrille gesessen ist. Alt stimmt nicht ganz, ich hatte sie vor 6 Wochen gekauft. Aber der Herr -  ganz Inder – ging mit mir sofort in das besagte Geschäft & kaufte mir eine Neue. Porto Flughafen. Leer. Irgendwie an die EU-Krise erinnernd aber ich bin ca. 30 Minuten früher gelandet. Das Gepäck war flugs ausgeladen & kaum durch die Securitiy winkte mir auch schon ein Teil der Truppe zu. Kristine Bäder war schon ein paar Tage zuvor in Portugal, an der Algarve. Dann noch auf den portugiesischen Leuchtturm, Peer Holm gewartet & ab geht es via Shuttle zur ersten Verkostung mit einem Journalisten. Es gab 6 Weine. Ein bemerkenswerter weißer 2007er der Rebsorte Encruzado, dem der portugiesische Kollege ein Potenzial von bis zu 20 Jahren zutraute. Hm was würde da Tante Gertrude sagen? Naja mein lieber Sigi, die Hälfte reicht auch schon, aber sehr guuuut is er schon. Das Weingut heißt Quinta dos Roques aus dem Dao Gebiet. Weiter ging es mit dem 2007er Pape von Alvaro Castro, ebenfalls Dao, mit nur 13% aber einer sehr dicht verwobenen Struktur, bestens ausbalanciert. Sehr gut.zwischen all den Weinen versuchte Tania unsere Begleitung & Organisatorin, mir einen 2000er Barca Velha zu organisieren…nur sind dann € 250.- ein etwas das Limit überschreitender Preis. Aber wer weiß, kommt Zeit kommt Barca dahergeschwommen…….so die weiteren Weine waren nicht minder gut. Und die Quinta die den Barca Velha (Casa Ferreirinha) produziert hatte den 2008er Quinta da Leda am Tisch. Tannin nicht zu knapp aber eine wunderbare tiefe & nicht fette Frucht dagegen. Essen oder Zeit oder sehr lange Dekantierzeit. Eigenständig in jedem Fall. Es gab noch……später mehr dazu.

Gerd & Gertrude? Nein, Kristine Bäder & Peer Holm.

 

 

Es gab auch TCA, ja das findet man immer wieder, immer mehr? Brauchen tun wir es alle nicht, weder der Weintrinker noch der Produzent. Und könnten Weine sprechen, sie würden schreien, uns anflehen, bittere Tränen kämen den Flaschenhals hinunter: nicht anfassen wir haben TeZeAa – wir sind Aussätzige. Ernsthaft, es ist einfach mühsam, verkostet man permanent Weine & man diskutiert, debattiert & streitet, ob er es hat oder nicht….Korkschmecker. Besser wird es noch am morgigen Abend. 6 Weine & ……ein TCA-Anteil, der sich sehen lassen kann.

Die kleine Degustation fand im Palacio da Bolsa. Das eindrückliche Gebäude hatte Andre Domine zum ersten Mal gesehen bekam die Gelegenheit den Gerichtssaal & den arabischen Saal anzusehen. Wenn Porto, dann ist das ein MUSS – schlichtweg atemraubend schön!! Ich bin zwar des portugiesisch nicht mächtig aber der Pförtner war darüber wohl nicht sehr glücklich. Checkin im Hotel. Empfang von 3 Damen, zeitweise 4, in sagen wir außergewöhnlichen Gewändern. Griechischen Gottheiten gleich. Wallender Stoff in einem Schnitt & Stil, der selbst eine Miss World zum Aschenputtel gemacht hätte. Aufs Zimmer. Koffer abstellen. Treffen in der Lobby. Los geht’s zum Restaurant Quarentae4, Vinho Verde Abend mit 3 Weingütern. Die dürfen schon nicht fehlen, die das Land überschwemmenden grünen Wein(chen). Also es geht mir mit den Weinen inzwischen so wie mit dem Prosecco – 98% kann man ungeniert & ohne schlechtes Gewissen in den nächstgelegenen Fluss auf nimmer wiedersehen dekantieren. Nur bitte einen etwas größeren Fluss auswählen. Gefahr das er sonst über die Ufer steigt. Es gibt gar viel VV. Jeder hatte 4 Weine, sodass alles im überschaubaren Rahmen blieb. 1 bis 7 gedanklich gleich dekantiert, die 8 war ganz gut UND……..Winzer 3 gehört zu den 2%. Geht doch. Und wie. Anselmo Mendes produziert seriöse Weine. Kein Restsüsse-CO2 Mixgetränk. Kein neutrales Erfrischungsgetränk aus Weintrauben. Keine

Vinho Verde mit Sustanz & Klasse. Anselmo Mendes.

Wein-Alcopops. Nein. Ein bemerkenswerter 2010er Loureiro (Rebsorte), Muros Antigos genannt. Dito der 2010er Muros Antigos aus der Sorte Alvarinho. Das Pendant im Barrique ausgebaut, der 2009er Muros de Melgaco Alvarinho. Übertrieben hat er es mit dem Holz 2009er Curtimenta, dem ist der Alvarinho nicht gewachsen. Schade, denn es ist eine wunderbare Frucht darunter, die aller Wahrscheinlichkeit nie richtig an die Oberfläche kommen wird.

Von den Weinen abgesehen ein toller Abend. Ab ins Hotel. Schlafen. Peer besteht auf einen Absacker in einer stadtbekannten & sehr originellen Bar. Es gibt kein Wechselgeld zurück. Kein Scherz. Legt man einen 5er auf den Tresen, stehen innert Sekunden 5 Biere da.

 

Mittwoch, 19. Oktober

Das Quarentae4 in Porto.

Nur kurz geschlafen. Früh gefrühstückt. Und die hatten die großen Fenster offen gelassen, das war saukalt. Dem Kellner war es wohl auch kalt & ich als Gast unsympathisch – wie kann man um 7:05 schon hier auftauchen. Pures Unverständnis. Trotzdem sehr zuvorkommend. Kristine Bäder als eher Langschläferin hatte Verständnis für ihn. Heute fährt Peer das Auto, ob der das kann? Er kann. Ruhig wie er selbst, so fährt er Auto. Die hinteren Plätze konnten sich genüsslich dem Schlafen hingeben. Wie die 3 Weissen aus dem Morgenland. Nach ca. 2 Std. Fahrt kamen wir bei einem von Portugals Big Playern an – Sogrape. Unzählige Quintas besitzt die Gruppe, wir landeten auf der Quinta dos Carvalhais & hatten einen hochinteressanten & rundum gelungenen Tag…….

Später mehr, denn es ist Donnerstag, 9:10 & es geht weiter.

Ankunft Uhr 11:00. Empfang mit 3er Komitee: der Chefönologe, dessen

Zweckmässige Aritektuer & Wald....Wald.

Name ich vergessen habe. Joana Marketingverantwortliche Europa & Filipe da Mota Neves, Gebietsmanager. Man kommt praktisch auf dem Dach des Kellereigebäudes an, das als Parkplatz & Annahmestelle für das Traubengut dient. Modern. Effizient. Sachlich. Ob man da später die Seele in den Weinen suchen muss? ;-) vorab, die Qualitäten dieser Sogrape Quinta sind ohne Fehl & Tadel, mehr

noch, eigenständig & sehr gut. Da steht man dann auf dem Dach des Kellereigebäudes, schaut in die Ferne & irgendwie stimmt da etwas nicht. Aber was? Es fehlen die Webberge, man sieht nur Wald. Linksschwenk – Wald. Nach vorne – Wald. Rechtsschwenk – Wald. Es passt einfach nicht ins Bild, eine Quinta umzingelt von Wald. Der Chefönologe braun

Still, aber seine Weine überzeugen in jedem Preissegment

gebrannt, scheuer Typ, kaum größer als 160 cm taut nur sehr langsam auf. So denn man von Auftauen reden kann. Los geht es 111 Treppenstufen nach unten zu den großen Stahltanks – einige Weine aus 2011 probieren. Die Weißen logischerweise noch trüb, die Roten stehen kurz vorm BSA. Auch hier in Portugal: extrem frühe Ernte. Winterurlaub buchen. Dann stößt der „Chef von s’ganze“ mit seiner Tochter hinzu. Er den rechten Arm in der Schlinge, kommt wie gerädert daher – frisch aus dem Bett & alles andere als wach scheinend. Aber der taut langsam auf im Gegensatz zum sympatischen Kellermeister. Unzählige Barriqueproben, autochtone Rebsorten Portugals – mal wieder interessant. Einstimmige Meinung. Lockere & trotzdem seriöse Stimmung, das Wetter gibt sich zudem alle Mühe. Das Leben ist so schön, auch ohne „Meine Yacht, mein Auto, mein Pferd & meine Villa. Schwirrt wohl jedem von uns durch den Kopf. Wohl dem der das erkannt hat. Ich laufe mit dem Chef des Ganzen ein Stück vorneweg & hey, er ist jetzt richtig wach & es entwickelt sich ein richtig

Die Truppe.

gutes Gespräch. Schnell wird klar, Geschäftsmann & Weinliebhaber in einer Person. Seine Tochter IST Tochter. Er kann die Vaterschaft optisch nicht leugnen, nicht den Hauch eine Chance. Es geht ein paar Schritte auf einem alten Weg der mit Granitblöcken ausgelegt ist, durch den Wald zum „Lansch“. Erst ein Apero mit dem eigene Schaumwein, der die Meinung spaltet. Dazu gibt es einen einheimischen Käse auf Toast, der sehrn gut zum Schaumwein passt. Tisch & Sitzgelegenheit sind ebenfalls aus dem permanent vorhandenen Granitgestein. Einfaches. So gut. Ehrlicher Genuss. Unverfälscht.

Dann geht es zum Essen in das alte Gehöft, angedacht im Haus zu essen. Umgedacht. Draussen wird getafelt. Schon wuseln die Helfer aus der Küche umher & „zack bum peng“ ist draussen gedeckt. Jetzt wird er auch der Chefwinemaker lebendiger & serviert uns einen Wein nach dem anderen. Da fährt auf einmal ein Auto vor, Scheibe runter, Flasche raus & weg. Wieder einfaches aber einfach gutes Essen & Weine der Quinta natürlich dazu. Passt.

Herzlicher Abschied. Weiter zu Alvaro Castro. Man kommt ja rum auf Weingütern mit der Zeit, aber Alvaro ist die Krönung schlechthin. Aber jetzt erstmal früstücken, es ist Freitag morgen.

Schaumwein der Quinta dos Carvalhais - wurde kontrovers gesehen, mir hat er sehr gut geschmeckt.

 

 

 


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