SIZILIANISCHE STERNSTUNDEN

Gabriel_profil_icon de Rene GabrielPremium_small, le 30. juin 2009 09:56

Sizilien gilt als Wiege des Europäischen Weins. Die Reben sollen via Kaukasus auf die südlichste Italieninsel vor 3000 Jahren gelangt sein. Doch diesen zeitlichen Heimvorteil scheinen die Winzer zu lange nicht ausgenützt zu haben. Obwohl vor etwa 25 Jahren eine qualitative Renaissance eintrat, sind wirkliche Spitzenweine heute noch rar. Die grosse Produktionsmasse ist langweilig, säuerlich-dünn oder süsslich-plump und tümmelt sich im Bereich von 14 bis 16 Punkten. Nur gerade die Hälfte wird ins Ausland exportiert. 50 % trinken die Italiener selber. Davon finden ein Viertel aller Flaschen in ebenso mittelmässigen Restaurants einen anonymen, emotionslosen Halbgenusstod. In meiner wöchigen Reise quer durch Sizilien habe ich mehr wie 100 verschiedene Weine verkostet. Und wer viel degustiert, findet dann glücklicherweise auch ein paar Weine die - so wie der Vulkan Ätna - aus der lethargischen Szene herausragen.


1999 Dederico II Rex Sicilie. Dass es im heissen Sizilien sogar Schaumwein gibt, wusste ich bisher nicht. Dass ich sogar einem 10jährigen Nobelspumante begegnen würde, grenzt schon fast an ein kleines Weinperlwunder. Wir tranken diesen tollen Apero im Hotel Trincanera in S. Vito lo Capo. Dort treibt ein offensichtlich bekannter Fernsehkoch namens Giovanni Torrente sein Unwesen. An seiner mit leuchtenden Goldknöpfen ausgestatteten Kochbluse hängen dokumentarische Speiseresten seines Abendeinsatzes. Der ausgetrocknete, verschwenderisch lang gegrillte, furztrockenne Schwertfisch (Spada) war mit frigorkalten, simpel gekochten Kartoffelscheiben mit Schale (!) garniert. Seine Erscheinung durch die Auftritte zwischen den Gängen am Tisch erinnerten an eine Assemblage zwischen Vico Torriani (Silberfäden) und den Komiker Alfredo (Granada). Als ich ihn dann nach dem Service mit lindengrüner, kurzer Hose und orangem T-Shirt auf dem Mini-Velo davon fahren sah - war mir Einiges klar. Wie sagte doch Franz Xaver Pichler? Nichts Genaues weiss man nicht! 18/20 für den Schaumwein - nicht für den Koch.

2008 Leone d'Almerita, Tasca d'Almerita: Nach so vielen, sehr mittelmässigen, mit wenig Aromen bestückten Weissweinen kam endlich ein grosser Wein ins Glas. Rund 30 Weissweine standen an der Morgendegustation im New Palace Hotel von Marsala auf dem Tisch. Der mit viel Catarratto und wenig Chardonnay bestückte weisse Leone, ist hell und brillante in der Farbe. Feines, zartpfeffrig-fruchtiges Bouquet, Karambollenoten, Kalk und somit eine gewisse Mineralität zeigend. Saftiger, sehr eleganter Gaumen mit feiner Rasse, verspielt und tänzerisch, sehr lang. Keine Bombe, sondern filigran, kann sicherlich sehr altern und gehört zur wenig dränglerischen Weissweinszene Siziliens. 18/20 trinken - 2018

2000 Chiarandà Donnafugatta: Zum typisch lokalen Buffet auf Donnafugatta zum Fisch-Couscous getrunken. Ein unglaublich frischer Weisswein mit feinen gelben Früchten und hellen Kalknoten. Zeigt auf, dass in der wenig bekannten Traubensorte Asonica ein Potential steckt, das Weine sehr gut altern lassen kann. 18/20 trinken - 2012

2001 Nerobaroni Nero d'Avola Gulfi: Getrunken im gleichnamigen, pompösen und einrichtungsmässig eher schwierigen Restaurant auf dem Weingut. Im grossen Gastrosaal ist stuhlmässig zwar alles in Ordnung aber die Lampen erinnern mit ihrem grellen Licht an eine emsiga Fabrikhalle. Dunkel mit gewissen Reifetönen. Warmes, ausladendes Bouquet, feine Ledernoten, viel Korinthen, Lakritze, noch sehr präsent, trockene Süsse zeigend, beeindruckendes mit Himbeerrispen Finale. Zeigt auf, dass ein grosser Nero d'Avola auch ein gewisses Alter erreichen kann. 18/20 trinken - 2012

2000 Cerasuolo di Vittoria Azienda Agricola Cos: 60 % Nero d'Avola, 40 % Frappato. Nach dem ältlichen, aber noch trinkbaren 1995er getrunken. Getrocknete Erdbeeren, helle Terroirnoten, Rosenpfeffer, sehr duftig und vielschichtig. Im Gaumen, süss, weich, schlank und elegant endend. Die Nase gefiel etwas besser als der Gaumen. Das lag aber vielleicht dran, dass wir den Wein nur tranken und nichts dazu assen. Denn hier handelt es sich definitiv um einen artisanalen Food-Wine! 18/20 austrinken

2006 Ribeca Firriato: Nero d'Avola - Perricone. Dunkles Granat mit lila Schimmer. Dunkle Kirschen, Black Currantnoten, zeigt Tiefe und Wärme, schwarze Schokonoten im Untergrund. Reicher Gaumen mit feinen, aber fett-fleischigen Tanninen, viel Lakritze im langen, nachhaltigen Finale. Ein grosser Wein der zeigt, dass die autochtonen Sorten Nero d'Avola und Perricone ausreichen um in Sizilien einen beeindruckenden Klasserotwein herzustellen. Wobei der nachfolgende Camelot aus gleichem Hause grad wieder das Gegenteil dieser Behauptung darstellt. 18/20 trinken - 2014

2006 Camelot Firriato: Tiefes, sehr dunkles Granat mit schwarzen Reflexen. Konzentriertes, kompaktes Bouquet mit Rauch, Kakao und Black Currant, dunkle Röstnoten zeigend und somit auch eine schön mitschwingende Süsse die an schwarzes Vanillemark erinnert. Im Gaumen fest, fleischig mit angerundeten Tanninen, ausgeglichene Adstringenz mit Reserven. Gehört zu den modernen Rotweinen Siziliens, schon fast mit mondialem Geschmack und auch einer der wenigen, der mit nicht autochtonen Rebsorten (Cabernet - Merlot) Furore macht. 18/20 trinken - 2015

2004 Duca Enrico Duca di Salaparuta: Diesen garstigen ultramaskulinen 100%igen Nero d'Avola kenne ich schon lange. Irgendwie scheint es in jeder Gegend auf der Welt eine Château-Montrose-Kopie zu geben. Kurioserweise fing dieser tiefschwarze Wein oxydativ an und zeigte dunkles Pilzmehl und trockene Trüffel, dann Rauch, später Korinthen und dann auch schwarze Beeren. Im Gaumen knochig, massive Muskeln und zähes Fleisch und fast zu verschwenderische Gerbstoffe. Und doch ist dieser Wein wie ein Monument, das sich an der Luft erholt und dann - sobald eine etwas verlangende, passende Speise auf den Tisch kommt - zu den grossen, besonders lagerfähigen Sicila Rosso gehört. Apropos passende Speise, das immense Steak das uns Nino in seiner rustikalen Metzgerbeiz in Marsala auf den Grill haute, wies dieselbe Konsistenz wie der Duca Enrico auf. Für Gebissträger eine nicht empfehlenswerte Speise-Weinkombination. 18/20

2006 Mille e una Notte Donnafugatta: Etwa 90 % Nero d'Avola und der Rest ist Betriebsgeheimnis. Sattes, dunkles Weinrot. Zeigt sich floral und frisch mit feinen Fliedernoten, dahinter Cassis und Pflaumen. Fester Gaumen, ausgeglichene Adstingenz die viel Potential zeigt, sandig-konzentrierte Zunge, leicht tintig mit Lakritze im langen Finale. Viel Reserven und erste Genussreife erst in etwa 5 Jahren zeigend. Sobald ein Nero'Davola anspruchsvoll sein soll, bekommt er halt auch verlangenden Charakter. 18/20 2011 - 2018

2005 Rosso delle Rose Masseria del Feudo: Nero d'Avola, Syrah. Brauchte Luft und zeigte zuerst einen Hühnerbouillonton. Da nahm ich das Glas und schüttete es ein paar Mal ziemlich heftig um. Warmes, reifes Pflaumen- bis Dörrpflaumenbouquet, etwas Cassis, schön ausladend. Im Gaumen rund, weich mit einem fruchtig-floralen Eichenton, zuerst spassig, dann grossartig, viel Rückaroma. Wenig Barrique (nur ein Drittel gebrauchtes Holz) - viel Barrique. 18/20 trinken - 2013. Und dann holte Francesco noch den 2003er Rosso delle Rose aus dem Keller. Der war dann wie ein ganz grosser, rauchiger, tiefgründiger Hermitage und bot ein schon fast legendäres Sizilien-Rotweinerlebnis. 19/20 trinken - 2015

2004 Costedimueggen Passito di Fanatelleria Benati: Degustiert als Finale auf dem Weingut. Nur 2000 kleine Flaschen als Jahresproduktion. Aus der einzigartigen Traubensorte Zibibbo hergestellt. Der schwersüsse Wein kommt sehr aromatisch daher und zeigt alten weissen Wermuth, Rosinen, helles Malz und in der Schwere drin auch eine verspielte minzige Note die auch etwas Eucalyptus in sich trägt. Im Gaumen reich und dick und mit einem nektarhaftem, gebündelten Finale. 18/20 trinken - 2025

2002 Ben Ryé Passito di Pantelleria Donnafugatta: Leuchtendes Goldgelb. Verrücktes Bouquet, helles Curry, getrocknete Lorbeerblätter, frische Feigen, alter, weisser Wermuth, getrocknete Aprikosen und verschwenderisch viel helle Rosinen. Im Gaumen, dank einer gut stützender Säure mit einem herrlich balancierten Spiel ausgestattet, endet mit einer Nuance von Cantuccibisquits. Geografisch liegt das Weingut eigentlich in Afrika, politisch aber noch zu Italien. Die geernteten Trauben gelangen mit dem Schiff aufs Festland, was ja dann eigentlich auch wieder eine Insel ist. Ein grosser Süsswein der in einer unglaublich grosser Menge hergestellt wird - je nach Jahrgang 60‘000 bis 80‘000 Flaschen. Das ist auf diesem genialen Qualitätsniveau schon fast Weltrekord. 19/20 trinken - 2050

1989 Aegusa Florio Marsala Superiore Riserva: Golden bis Bernstein. Offenes, powervolles Bouquet, würzige und passende Oxidation, Rosinen, Brandy und feine Pilznoten. Im Gaumen elegant, etwas süss aber mit viel Pfeffernoten im charmanten Körper, unglaublich viel Aromen freisetzend und im Finale an einen grossen Sherry erinnernd, nur mit viel mehr Aromendruck. Wir verkosteten diesen Wein an einem heiss-schwülen Nachmittag im zeitlosen Weingut und nach dem zweiten Schluck war die sich immer stärkere ankündigende Mittagsmüdigkeit praktisch vorbei. Also ein richtiger, wenn auch ungewöhnlicher Aufsteller. Wann haben Sie zum letzten Mal einen Marsala pur getrunken? 19/20 trinken - 2030

 


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