WIE SCHMECKT EINE ANGEBROCHENE FLASCHE 1989 CHÂTEAU D'YQUEM NACH 134 TAGEN?

Gabriel_profil_icon de Rene GabrielPremium_small, le 25. mai 2010 10:44

«Was macht man, wenn man es nicht schafft, einen guten Wein auszutrinken», werde ich oft an Kursen oder Events gefragt. Im Kopf hätte ich dann schon eine Antwort bereit: «Aufhören, guten Wein zu trinken!». Doch als Referent wäre eine solche Bemerkung sicherlich unpassend, weil der Fragende vor dem gesamten Publikum lächerlich gemacht würde. Es gibt schliesslich keine dummen Fragen - nur dumme Antworten...

Ich kann nämlich durchaus verstehen, dass es gewisse Situationen gibt, bei welchen manchmal eine halbe Flasche (37,5 cl) zu wenig und eine ganze Flasche (75 cl) halt zu viel ist. Ausser man hält sich an eine Anekdote, die mir kürzlich vorbei, Besitzer von Léoville-Barton, Anthonny Barton zugetragen wurde. Er erzählte nämlich einem Besucher, dass er kürzlich zu zweit eine Doppelmagnum getrunken hätte. Ungläubig fragte der Gast wer der Zweite gewesen sei. Anthonny Barton antwortete cool: «Niemand - ich sagte Ihnen ja bereits dass wir nur zu Zweit waren. Nur die Doppelmagnum und ich!»

Im Handel werden für unausgetrunkene Flaschen mehrere Systeme angeboten. Da ist zum Beispiel die manuelle Pumpe: Es wird ein Gummikorken auf die Flasche gesetzt und durch abpumpen die Luft entzogen. Ich behaupte, dass dabei fast das gesamte Bouquet weggesaugt wird und somit gleich Flöten geht!

Ein weiteres System ist eine Gasflasche, die Stickstoff enthält. Stickstoff ist schwerer als Luft, wodurch ein Stickstoffteppich zwischen Wein und Luft gelegt und somit (teilweise) eine Oxidation verhindert wird. Bedingt gut!
Kürzlich habe ich in einer Weinhandlung in Saint Emillion ein neues, revolutionäres System gesehen. Hier wird die Flasche zuerst entkorkt. Dann führt man ein dichtes Abschlusssystem in den Flaschenhals. Mittels einer Gasbombe wird durch Drücken am Ausschankregulator Stickstoff in die Flasche befördert. Dieser gibt von oben Druck auf den Wein. In der Mitte der Flasche befindet sich dann eine weitere Pipeline die von unten durch eine verchromte einem verdünnten Wasserhahn-ähnlichen Leitung den Wein direkt ins Glas fliessen lässt. Eine einzusetzende Stickstoffpatrone (ziemlich teuer) soll für etwa drei Flaschen reichen. Sieht ziemlich avantgardistisch aus das Ding. Und dieses High-tech-System kostet mehr als so manche sehr gute Flasche Wein...

Was rät Gabriel? Ganz einfach: Sie entscheiden als erstes, direkt nach dem Öffnen, welche Menge Sie nicht trinken wollen. Diese Menge füllen Sie sofort in eine kleine, sauber gewaschene, etwa drei Deziliter grosse, leere PET-Flasche. Dann drücken Sie so lange die Luft raus, bis die Flasche oben «spuntvoll» ist und verschliessen diese mit dem Schraubverschluss. Ist es Weisswein, so legen Sie diese PET-Flasche in den Kühlschrank. Ist es Rotwein legen Sie ihn wieder in den Keller oder in den Weinschrank zurück. Schreiben Sie zur Sicherheit mit einem wasserfesten Stift das Datum drauf und welcher Wein es ist. Dieses einfache System ist billig, effizient und erstaunlich sicher! Hier gebe ich eine Garantie von mehreren Monaten.

Noch lustiger wäre es ganz kleine PET-Flaschen zu verwenden. Solche gibt es manchmal im Flieger oder in gewissen Geschäften. Jetzt könnte man zum Beispiel die Restmenge in mehrere, einzelne Deziliter abfüllen und viel später geniessen.

Wenn man weiss, dass man eine Flasche Weiss- oder Rotwein ganz sicher am anderen Tag fertig geniesst, so kann man die angebrochene Flasche ruhig in den Kühlschrank stellen. Ja - auch den Rotwein. Die kühle Temperatur verhindert das Oxidieren. Man muss ihn dann nur rechtzeitig aus der Kühle nehmen, damit die Trinktemperatur stimmt.

Ein ganz gewaltiges Kühlschrank-Erlebnis bescherte mir kürzlich ein Zufall. Mein Freund Lucien öffnete am Sylvester eine Flasche 1989 Château d'Yquem. Die Tischrunde genoss zwar das erste Glas, doch irgendwie wollte die Flasche dann einfach nicht leer werden. Im Juni war ich zu Besuch in seinem Haus in Ste. Maxime und entdeckte die angebrochene Flasche im Kühlschrank. Er erzählte mir die Geschichte und ich überlegte schon, ob ich den Rest dieses Yquem's irgendwie in eine feine Sauce einbinden konnte, um ihm eine letzte Ehre zu erweisen. Doch jegliche mögliche Kombinationen mit den geplanten Speisen schienen nicht zu passen. Aber meine Neugier war gewaltig wie so ein 134 Tage lang geöffneter Sauternes noch schmecken würde. Da wir den Wein im letzten Herbst im Rahmen einer ganz grossen 1989er Verkostung degustierten, wusste ich im Kopf wie er sich präsentiert, wenn er entkorkt und dann gleich getrunken wird.

Also schenkten wir uns alle einen Schluck ein - mit relativ wenigen Erwartungen. Doch die Überraschung war riesengross! Zwar fehlten die Primäraromen eines just geöffneten Weines, doch diese wurden kompensiert durch viel Rosinentöne, hellem Malz, dunkler Aprikosenkonfitüre, einem Hauch Curry und süssem, schwerem Malmsey Madeira. Das konnte doch irgendwie nicht wahr sein, was wir da - viereinhalb Monate nach dem Entkorken - erleben durften. Ungläubig rieben wir uns die Augen, schauten uns verblüfft an, murmelten ein paar überraschende Worte zu und schenkten uns jeder eine gehörige Portion von diesem genialen «Luft-Rentner» ein. Um ganz sicher zu sein, dass wir uns nicht täuschten...

 


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